Psychoneuroimmunologie – Aufbruch zu einer neuen Medizin

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Der Psyche ihrer Patienten wenden nur die wenigsten Ärzte ihre gezielte Aufmerksamkeit zu, wenn es um Diagnostik und Therapie körperlicher Erkrankungen geht. Das könnte in Zukunft anders werden, denn mit der Psychoneuroimmunologie ist ein neuer Fachbereich in der Medizin aufgetreten, der die Verbindung zwischen Seele und Körper in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt.

Hinter dem schwer auszusprechenden Wort „Psychoneuroimmunologie“ stehen der mittlerweile klar erwiesene Zusammenhang zwischen seelischen Aktivitäten und Immunfunktionen und erste Erkenntnisse dahingehend, wie durch gezielte Beeinflussung der Psyche langfristige Gesundheit möglich ist. Psychoneuroimmunologie also als Aufbruch zu einer neuen Medizin? Viele Insider gehen davon aus.

Das Immunsystem ist jener Teil unseres Organismus, der mit seinen Immunzellen und im Blut gelösten Botenstoffen jeden nur erdenklichen Bereich des Körpers erreichen kann und dort schädliche Substanzen wie Erreger, Fremdstoffe und entartete Zellen (Krebszellen) zerstört und beseitigt und damit grundlegend unserer Gesundheit dient. Forschungen haben gezeigt, dass das Immunsystem über vegetative Nervenfasern und über im Blut zirkulierende Hormone und Neurotransmitter mit Teilen unseres Gehirns verbunden ist. Wie an unsichtbaren Fäden hängen Gehirn und Immunsystem zusammen und können sich ständig wechselseitig über ihre Aktivitäten informieren. Dadurch weiß das Gehirn in jedem Moment sehr genau darüber Bescheid, was an der Schnittstelle zwischen Körper und Umwelt vor sich geht und kann so die Immunabwehr gezielt unterstützen.

Heißt das, dass auch die Psyche, also Denken, Fühlen und Handeln, direkt mit der Aktivität des Immunsystems in Zusammenhang steht?
Forscher der Psychoneuroimmunologie bestätigen dies klar. Wenn es uns psychisch nicht gut geht, wenn wir durch Ärger im Beruf, Belastungen in persönlichen Beziehungen und Familie gestresst sind , kann das empfindliche Miteinander zwischen Gehirn- und Immunaktivität soweit gestört sein, dass Krankheit die Folge ist. Studien belegen eindrücklich, dass „Stress“ gleichsam unter die Haut geht und dass dies gefährlich für unsere Gesundheit sein kann, sehr gefährlich sogar. Denn leidet man insbesondere längerfristig an Stress, dann steigt das Risiko für schwere Entzündungserkrankungen dramatisch an. US-amerikanische Studien zeigen beispielsweise, dass Personen, die viele Jahre lang ihre an Demenz erkrankten Angehörigen pflegen, abnormale Entzündungsanstiege aufweisen. Dem nicht genug: Sie altern schneller, werden selbst früher krank und weisen eine deutlich geringere Lebenserwartung auf.

Das Immunsystem als Gesundheitscoach

Menschen, die chronisch gestresst sind, erhöhte Entzündungswerte aufweisen und besonders jene, die bereits körperlich krank sind (Autoimmunerkrankungen, Krebs etc.), leiden oft in unterschiedlichem Ausmaß an Erschöpfung, Schlafproblemen, Appetitstörungen, Schmerzen, Depressionen und anderen Beschwerden. Lange Zeit war völlig unklar, woher diese Beschwerden kamen, doch nun hat die Psychoneuroimmunologie eine plausible Erklärung dafür, sie heißt "Sickness Behavior". Jeder kennt das, wenn er gerade eine Infektion, beispielsweise eine Grippe durchmacht: Man fühlt sich krank, die Glieder schmerzen, man will nichts mehr essen und nur noch schlafen, reagiert empfindlich auf jede Art von Außenreizen und vieles andere mehr. Vor nicht allzu langer Zeit schenkte die Medizin diesen Beschwerden noch keine besondere Aufmerksamkeit, galten sie doch als eher allgemeine Schwächezeichen der kräftezehrenden Grunderkrankung. Nun aber wird zunehmend klar, dass Schwächegefühl, erhöhtes Schlafbedürfnis und Gereiztheit beim Anflug einer Grippe durch das Immunsystem selbst hervorgerufen werden, das Immunsystem also unser Erleben und Verhalten verändert, damit wir den Energieverbrauch drosseln und auf diese Weise selbst alles dafür tun, um möglichst unbeschadet wieder gesund werden zu können.

Chronischen Stress vermeiden

Chronischen Stress vermeiden und auf unsere inneren natürlichen Ratgeber hören sind erste Ratschläge, die uns die noch junge Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie geben kann, um langfristig gesund zu bleiben und vital zu altern. Dem aber nicht genug. Psychoneuroimmunologische Forschung konnte klar belegen, dass auch positive psychologische Faktoren wie zum Beispiel über Belastungen sprechen, soziale Unterstützung erfahren oder einfach nur sich wohl fühlen das Immunsystem stärken und somit effizienter in der Wundheilung und Abwehr von Infektionskrankheiten und Entzündungserkrankungen sein lassen.

Wenn aber psychologische Positivfaktoren den Immunschutz steigern können, dann müssten sich diese Faktoren auch gezielt zur Heilung von schweren Erkrankungen wie beispielsweise Krebs einsetzen lassen. Auch mit diesem Thema hat sich die Psychoneuroimmunologie auseinandergesetzt. Sie konnte zeigen, dass Gehirn und Krebszellen über Nervenfasern und lösliche Botenmoleküle miteinander verbunden sind, was die Grundlage dafür darstellt, dass die Psyche das Krebsgeschehen beeinflussen kann. In der Tat zeigte es sich, dass Stress die Rückfallgefahr bei Krebserkrankungen erhöht und hierbei die ständige Angst vor einem erneuten Ausbruch der Erkrankung der entscheidende Faktor sein dürfte. Untersuchungen legen weiterhin nahe, dass Krebsangst zur Vermehrung und Metastasierung von Krebszellen beiträgt und medizinische Maßnahmen gegen Krebs (z.B. Chemotherapie) weniger wirksam sein lässt.

Durch die erweiterte Sicht der Psychoneuroimmunologie, also durch Einbeziehen der Psychologie und des Nervensystems in die immunologische Grundlagenforschung, konnte in der Medizin in relativ kurzer Zeit ein Quantensprung an neuen Erkenntnissen erzielt werden. Diese Erkenntnisse lassen sich nun für eine menschengerechtere Diagnostik und Therapie auch bis dato so unzugänglicher Krankheiten wie Krebs einsetzen. Nun bleibt zu hoffen, dass diese Quelle neuer Erkenntnisse nicht versiegt und die Psychoneuroimmunologie die öffentliche Unterstützung erhält, die sie kraft ihres Erneuerungspotenzials für die Medizin verdient.


Vortrag von Prof. Dr. Dr. Schubert, Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie, Klinik für med. Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck

Interview mit Prof. Dr. Dr. Schubert, Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie, Klinik für med. Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck